Arbeiten bis zur Rente: Wie der Later Life Workplace Index Unternehmen unterstützt

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels nimmt die Bedeutung älterer Mitarbeitender in Unternehmen seit Jahren weiter zu. Arbeit so zu gestalten und die Mitarbeitenden so zu behandeln, dass sie möglichst lange gesund und motiviert am Erwerbsleben teilnehmen, ist eine zentrale Herausforderung dabei. Das validierte Diagnoseinstrument für Unternehmen „Later Life Workplace Index“ setzt genau an dieser Stelle an. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), die Mitglied im Partner:innenkreis des DNBGF ist, führt gemeinsam mit der Leuphana Universität Lüneburg ein Forschungsprojekt zum Later Life Workplace Index durch: „Later Life Workplace Index: Evaluation der betrieblichen Anwendung und Weiterentwicklung“.

Im Interview gibt PD Dr. Anne Marit Wöhrmann, Wissenschaftliche Leiterin des Fachbereichs 3 Arbeit und Gesundheit der BAuA, Einblick in das Forschungsprojekt.

Können Sie uns einen kurzen Überblick über die Ziele und Schwerpunkte des "Later Life Workplace Index" (LLWI) geben und erläutern, wie dieser Index Unternehmen dabei unterstützen kann, die Arbeitsbedingungen für ältere Beschäftigte zu optimieren?

Der LLWI ist ein Diagnoseinstrument, das Unternehmen via Selbsteinschätzung für eine Standortbestimmung nutzen können. Es zeigt auf, wie gut eine Organisation mit ihren betrieblichen Praktiken und Arbeitsbedingungen auf eine alternde Belegschaft eingestellt ist.

Das inhaltliche Rahmenmodell des in mehreren wissenschaftlichen Studien entwickelten und validierten LLWI umfasst neun Dimensionen organisationaler Praktiken und Maßnahmen mit Relevanz für ältere bzw. alternde Belegschaften. Diese Dimensionen sind Organisationsklima, Führung, Arbeitsgestaltung, Gesundheitsmanagement, persönliche Entwicklung, Wissensmanagement, Übergang in den Ruhestand, Weiterbeschäftigung nach Renteneintritt sowie Versicherungen und Vorsorge. Während die letztgenannten Dimensionen von besonderer Relevanz für ältere Belegschaften sind, sind andere Dimensionen für Beschäftigte jedes Alters relevant, bekommen aber konzeptuell im Kontext älterer Beschäftigter unter Umständen eine andere Bedeutung – so zum Beispiel die fortlaufende Entwicklungsplanung.

Mit Hilfe des Fragebogens zum LLWI bekommen Organisationen eine Einschätzung, in welchen Bereichen eine Organisation bereits gut aufgestellt ist, und wo Verbesserungsmöglichkeiten bestehen. Dabei ist zu beachten, dass die einzelnen Aussagen nicht als Checkliste zu sehen sind, sondern für die Bereiche zusammengefasst in einem Nachfolgeprozess organisations- und situationsspezifisch bewertet werden müssen, so dass daraus konkrete Maßnahmen abgeleitet werden können. Die einzelnen Aussagen sowie die im Handbuch aufgeführten Definitionen und Praxisbeispiele können hier als Ideenquelle herangezogen werden.

Eine unserer Studien zeigt, dass Organisationen neben der Analyse des Status Quo unterschiedlichen Nutzen im LLWI sehen – zum Beispiel einen Weg, sich in der Organisation mit dem Thema auseinanderzusetzen und dafür zu sensibilisieren, Ansatzpunkte zur Maßnahmenplanung und -umsetzung zu entwickeln oder auch ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu stärken.

 

Was ist Ihre Erfahrung, wie wichtig ist die Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens älterer Beschäftigter für deren Verbleib im Unternehmen bis zum Ruhestand? Welche Bedeutung kommt diesem Thema im LLWI zu, neben der konkret benannten Dimension Gesundheitsmanagement?

Zentrale Faktoren für den Zeitpunkt des Erwerbsaustritts sind Arbeitsfähigkeit und die Erwerbsmotivation von Beschäftigten. Gesundheit beeinflusst sowohl die Arbeitsfähigkeit als auch die Motivation. Damit bekommt die Aufrechterhaltung von Gesundheit und Wohlbefinden von Beschäftigten eine hohe Relevanz zu für die Weiterarbeit von Beschäftigten bis zum Ruhestandsalter und darüber hinaus.

Die Dimensionen des LLWI stehen direkt oder indirekt mit der Gesundheit und Wohlbefinden älterer Beschäftigter in Zusammenhang. Es gibt eine umfangreiche Forschungslandschaft zur Arbeitsgestaltung und -organisation, die entsprechende Zusammenhänge mit Gesundheit und Wohlbefinden aufzeigt. Beispielsweise untersuchten Pak et al. (2019) in einer Meta-Analyse Effekte von Human Resource Praktiken und Arbeitsgestaltung auf die Fähigkeit und Motivation zur Weiterarbeit von älteren Beschäftigten und Topa et al. (2009) zeigten in einer anderen Meta-Analyse unter anderem Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Wohlbefinden mit Ruhestandsplanung bzw. -entscheidungen auf. Weitere Studien zeigen beispielsweise, dass die Erwartung, nicht bis zum Renteneintrittsalter arbeiten zu können, in Zusammenhang mit der körperlichen und psychischen Belastung und fehlenden beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten steht. Einer – am besten frühzeitigen – gesundheitsförderlichen Gestaltung der Arbeitsbedingungen kommt daher eine hohe Bedeutung zu. Wichtig ist, dass Organisationen ergänzend gut aufgestellt sind in Bezug auf Gefährdungsbeurteilung, BEM und arbeitsmedizinische Vorsorge. Beitragen können auch gruppenspezifisch abgestimmte BGF-Angebote.  

 

Ein Meilenstein in Ihrem Forschungsprojekt ist die aktuell erschienene Broschüre mit Handbuch und Fragebogen zu betrieblichen Maßnahmen für ältere Beschäftigte basierend auf dem LLWI. Vor welchem Hintergrund ist die Broschüre entstanden und was wollen Sie damit erreichen?

Die baua: Praxis zum LLWI ist aufgrund der hohen Nachfrage von Praktikern und Praktikerinnen im Rahmen unserer Forschungsprojekte und Vorträge rund um den LLWI entstanden. Zum einen wünschten die Praxispartner, die den LLWI angewendet haben, Beispiele, die nach einer Standortbestimmung mit dem LLWI Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und Inspiration geben. Zum anderen gab es den Wunsch nach einer erleichterten Anwendung in der Organisation, da der Fragebogen zum LLWI in unserem wissenschaftlichen Artikel für Praktiker und Praktikerinnen nicht unbedingt in geeigneter Weise aufbereitet ist. Die Publikation der baua: Praxis erleichtert uns nun den Transfer unserer Forschungserkenntnisse in die betriebliche Praxis.

Im Handbuch wird daher zunächst der LLWI allgemein vorgestellt, bevor auf jede der neun Dimensionen spezifisch eingegangen wird. Dabei werden dann zunächst Definitionen gegeben, aus denen hervorgeht, um welche organisationalen Praktiken es in der entsprechenden Dimension geht. Darauffolgend ist der Auszug aus dem Fragebogen abgebildet. Anschließend werden verschiedene mögliche Maßnahmen vorgestellt, die auf die LLWI-Dimension einzahlen. Dabei wird auch auf Ziele, Umsetzung, Erfolgsmessung und geeignete Rahmenbedingungen der Maßnahmen eingegangen. Am Ende des Handbuchs ist der gesamte LLWI-Fragebogen inklusive Hinweisen zur Befragung und Auswertung abgebildet.

 

Gibt es besonders gute (erfolgversprechende oder sogar nachgewiesen wirksame) Beispiele, die Sie benennen können, die Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit älterer Beschäftigter ideal fördern?

Ich möchte hier keine einzelnen Maßnahmen konkret hervorheben. Welche spezifischen Maßnahmen in einer Organisation besonders gut zur Gesundheit, zum Wohlbefinden und zur Leistungsfähigkeit von Beschäftigten beitragen, ist vom spezifischen Kontext abhängig.

Allgemein zeigt sich, dass sich verschiedene Maßnahmen positiv auf die Arbeitsfähigkeit auswirken (können), wie u.a. auch Oakman et al. (2018) in ihrem systematischen Review herausstellen. Allerdings sind die Interventionen, die in Studien untersucht werden, meist sehr spezifisch und daher nicht einfach auf andere Kontexte übertragbar. Die Maßnahmen im Handbuch sind daher eher allgemein gehalten und laden dazu ein, Anregungen für eigene Maßnahmen zu finden.

 

Was steht als nächstes in Ihrem Forschungsprojekt an?

Das Ziel des Projektes ist es, dass der LLWI möglichst vielen Organisationen zur Verfügung steht und angewendet werden kann. Daher arbeiten wir derzeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus über 20 Ländern zusammen, um den LLWI international nutzbar zu machen. Da der aktuelle Fragebogen mit 80 Aussagenrelativ umfangreich ist, haben wir in der internationalen Zusammenarbeit auch eine deutlich kürzere Version entwickelt (vgl. Finsel et al. 2025). Außerdem beobachten wir im Rahmen von Forschungsprojekten einzelne Unternehmen in den Nachfolgeprozessen der Anwendung des LLWI. Dies gibt uns einerseits Hinweise auf die Nützlichkeit der Anwendung des LLWI und andererseits Einblicke in Prozesse im organisationalen Umgang mit den Ergebnissen - beispielsweise in Bezug auf die Identifikation von Handlungsbedarfen und förderliche und hinderliche Rahmenbedingungen in der Umsetzung. 

 

Wir bedanken uns für das Interview mit PD Dr. Anne Marit Wöhrmann!

 

Quellen und weiterführende Literatur:

BAuA - Forschung - Later Life Workplace Index: Evaluation der betrieblichen Anwendung und Weiterentwicklung - Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. https://www.baua.de/DE/Forschung/Forschungsprojekte/f2533

Finsel, J, Skib, V, Wilckens, M, Deller, J & Wöhrmann, A M (2025):  Later Life Workplace Index (LLWI) - Handbuch und Fragebogen zu betrieblichen Maßnahmen für ältere Beschäftigte. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. DOI: 10.21934/baua:praxis20241108 https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis/A115.pdf?__blob=publicationFile&v=3

Finsel, J S, Axelrad, H, Choi, S J, Derous, E, Gu, X, Guandalini, P, Ha, J, Kim, E K , Marzec, I, Mykletun, R J, Oliveira, E, Pajic, S, Schellaert, M, Van der Heijden, B I J M, Vignoli, M, Wöhrmann, A M & Deller, J (2025). Development and Validation of the Short Form of the Later Life Workplace Index (LLWI-SF): A Study Across Ten Countries. Work, Aging and Retirement, waaf006, https://doi.org/10.1093/workar/waaf006

Oakman, J, Neupane, S, Proper, KI, Kinsman, N & Nygård, C-H (2018): Workplace interventions to improve work ability: A systematic review and meta-analysis of their effectiveness. Scandinavian Journal of Work, Environment & Health, 44 (2):134-146. https://doi.org/10.5271/sjweh.3685

Pak, K, Kooij, D TAM, De Lange, A H & Van Veldhoven, M JPM (2019): Human Resource Management and the ability, motivation and opportunity to continue working: A review of quantitative studies. Human Resource Management Review, 9 (3): 336-352 https://doi.org/10.1016/j.hrmr.2018.07.002

Topa, G, Moriano, J A, Depolo, M, Alcover, C-M & Morales, J F (2009): Antecedents and consequences of retirement planning and decision-making: A meta-analysis and model. Journal of Vocational Behavior, 75 (1): 38-55. https://doi.org/10.1016/j.jvb.2009.03.002

 

Im Partner:innenkreis

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) wird durch Michaela Prigge und Dr. Julia Moser im Partner:innenkreis vertreten.

Michaela Prigge ist Gesundheitswissenschaftlerin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin u.a. in epidemiologischen Forschungsprojekten in der Gruppe "Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen".

Dr. Julia Moser ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Gruppe „Arbeitsgestaltung bei personenbezogenen Dienstleistungen“ in Dresden. Sie ist im Leitungsteam des Projektes "Belästigung und Gewalt bei personenbezogenen Dienstleistungen: Wirksame Maßnahmen zur Prävention und zu Gestaltungsgrundsätzen zum Schutz der Erwerbstätigen".